Neutrale Schweiz?

Dominic Iten
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Ein Kleinstaat zwischen Grossmächten

Im vergangenen Sommer wurden im Rahmen des Nato-Gipfels richtungsweisende Entscheide getroffen. Erstens: Massive Aufstockung der Gelder und Truppen. Zweitens: Deklarierung Russlands als «bedeutendste und direkteste Bedrohung» und Chinas als «Herausforderung unserer Sicherheit, Interessen und Werte». Drittens: Breite Zustimmung zum Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens (Kronauer 2022). Die Aufrüstung ist beschlossen, der Feind markiert. Fast zeitgleich fand das Treffen der Staats- und Regierungschefs der fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres statt. Mit seiner Teilnahme am Kaspischen Gipfel wandte sich Putin den zentralasiatischen Staaten zu, die nicht nur aufgrund ihrer Nähe zu Afghanistan und ihres Meereszugangs von strategischer Bedeutung sind: Putin sucht nach Regionen, in denen er seinen politischen Einfluss ausbauen und seine wirtschaftlichen Verluste kompensieren kann.

Die beiden Gipfeltreffen stehen exemplarisch für die sich zuspitzende Blockkonfrontation. Noch vor zweieinhalb Jahren hatte Emmanuel Macron die Nato als «hirntot» bezeichnet – jetzt ist sie von den Toten auferstanden. Unter fortschreitender Blockbildung auf globaler Ebene wird es auch für scheinbar unbeteiligte Staaten wie die Schweiz immer schwieriger, sich nicht dem einen oder anderen imperialen Block anzuschliessen: Der damalige Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis sprach in seiner Eröffnungsrede am Weltwirtschaftsforum 2022 vom «kooperativen Neutralitätsverständnis ». Er erklärt, dass sich die Schweiz «für eine regelbasierte und stabile Sicherheitsarchitektur einsetzt, die nur multilateral entstehen kann» und meint damit, dass sich die Schweiz weiter der Nato annähern sollte (Cassis 2022).