Das Versprechen der Genossenschaften

Gisela Notz
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"Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar", sagte der Vorsitzende der Jungen Sozialdemokraten (Jusos) Kevin Kühnert in einem Interview mit der ZEIT Anfang Mai 2019. Kühnert kann sich vorstellen, grosse Firmen zu kollektivieren und den Besitz von Immobilien in Deutschland beschränken zu lassen, anders sei die "Überwindung des Kapitalismus" nicht möglich. Von Kollektivierung oder Vergemeinschaftung erhofft er sich, dass das soziale Unrecht in unserer Gesellschaft und die umweltzerstörende Ressourcenvernichtung eingedämmt oder gar beendet werden. Kühnerts Aussagen haben in CDU/CSU, FDP, AfD und in Wirtschaftsverbänden für grosse Aufregung gesorgt. Kritik kam aber auch aus «seiner» Partei, der SPD.

Neu ist die Diskussion über Kollektivierungsbestrebungen nicht. Wie schon früher in der Geschichte fragten Linke immer wieder danach, ob es nicht eine sozialistische Antwort geben müsste auf die Widersprüche einer weltweiten Umverteilung von arm zu reich und auf die zerstörerische Wachstumslogik.

Die Idee der Genossenschaft gewinnt wieder an Aktualität. Genossenschaften waren und sind in der Geschichte Deutschlands, der Schweiz, in Österreich und in vielen anderen Ländern ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft und im Wohnungsbau. Es wird sogar ein Aufschwung von Genossenschaftsgründungen festgestellt.

Freilich sind Genossenschaften von ihren unterschiedlichen Entstehungsbedingungen her nicht unbedingt eine «sozialistische Idee». Jedoch sind der Demokratisierungsgrad und die Transparenz bezüglich der Verwendung des Kapitals hoch.

In diesem Beitrag geht es um Vergemeinschaftung von Grund und Boden, von Produktionsstätten, Produktionsmitteln, Gebäuden und Wohnungen durch die Gründung von Genossenschaften. Zunächst soll erklärt werden, was Genossenschaften sind. In Abgrenzung zu anderen Unternehmen werden anschliessend vier Grundprinzipien der Genossenschaften aufgeführt. Danach geht es um die unterschiedlichen theoretischen und praktischen Ansätze, die zu Gründungen führen, um Aufstieg und Fall der Genossenschaften in Deutschland seit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zur gegenwärtigen Ausdifferenzierung.